Dieser Text ist ein Erfahrungsbericht und Meinungsartikel zweier unserer Mitglieder. Er stellt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Allgemeingültigkeit, oder Passgenauigkeit für andere Personen. Er kann und möchte aber einen Eindruck vermitteln, welche Aspekte beim Chinesischlernen im Rückblick wichtig waren und was es zu bedenken gilt.
Die Sicht eines Ausländers
Werdegang
Mitte der 90er Jahre geboren, war ich schon seit meiner frühen Schulzeit an Sprachen interessiert, da sie für mich das Tor zum tieferen Verständnis einer anderen Kultur darstellen. Trotz einer klaren Stärke in den Naturwissenschaften habe ich daher ein sprachliches Gymnasium in München besucht. Durch Berührungspunkte mit China in Sport (Kung-Fu) und Medien (Jackie Chan, Bruce Lee, …) wurde mein Interesse an dieser so anderen Kultur geweckt. Für eine kurze Zeitspanne nahm ich sogar Privatunterricht in chinesischer Sprache, obwohl ich das während des Abiturs wieder eingestellt habe.
Während des Ingenieurstudiums an der TU München beschloss ich, nach Peking zu gehen, um mir selbst ein Bild von dem Land zu machen. Peking deshalb, weil ich dort zur Not auch mit Englisch zurecht käme. Dennoch wollte ich zumindest Grundzüge der Sprache beherrschen, weshalb ich noch in München einen Sprachkurs (Niveau A1.2) an der Uni belegte. An der Tsinghua angekommen entschloss ich mich jedoch, die Chance zu ergreifen und ein Jahr lang in Vollzeit Mandarin zu lernen.
Das Ergebnis waren nach der Rückkehr bestandene HSK 6 und HSKK Advanced-Tests, die als die höchsten Sprachabschlüsse für schriftliches und mündliches Hochchinesisch gelten (ohne jedoch Sprachniveauprüfungen à la TOEFL/DELF zu sein). Mein Mandarin hatte zumindest ein Niveau erreicht, in dem auch zurück in München Muttersprachler nicht auf Englisch/Deutsch gewechselt haben, wenn ich sie angesprochen habe. In einem Praktikum in Shanghai zwischen Bachelor und Master habe ich dann mein Chinesisch weiter festigen und mein Vokabular auf den Arbeitskontext erweitern können. Danach habe ich in Deutschland wie in China zahlreiche spannende Erfahrungen in Bezug auf Chinesisch gemacht, zum Beispiel Moderationen bei Veranstaltungen oder die Teilnahme an Wettbewerben.
Erkenntnisse bezüglich des Lernens der chinesischen Sprache
Drillübungen: Während meiner 1-zu-1 Stunden in der Schulzeit wurde ein Großteil der Zeit darauf verwendet, Laute und Töne heraushören und aussprechen zu lernen. Das war damals zwar dröge, allerdings habe ich in China gemerkt, dass es mir sehr hilft, zumindest eine grobe Vorstellung der Laute, insbesondere der nicht im Deutschen vorkommenden (wie x,j,q,r) zu haben. Wenn man es ernst meint, sollte man so eine Art Übung daher durchaus in Erwägung ziehen.
Generell habe ich aber gemerkt, dass auch als Erwachsener das Erlernen der chinesischen Sprache gut möglich ist. Viele Vorurteile stammen meiner Meinung nach aus einer Angst vor dem allzu Unbekannten, zum Beispiel die Schriftzeichen, die man als Europäer so gar nicht versteht. Wenn man diese Scheu aber einmal überwunden hat, ist Vieles plötzlich deutlich einfacher. Zum Beispiel sind die meisten Regeln der Grammatik sehr einfach zu verstehen. Hierbei hilft natürlich die Unterstützung durch Muttersprachler ungemein, da sie einem ein besseres Verständnis bestimmter Aspekte der Sprache vermitteln können.
Fehler zu machen ist dabei normal und gewollt, denn nur so kann man lernen. In meiner Erfahrung sind die meisten ChinesInnen viel offener und positiv überrascht, dass man die Landessprache lernt, als dass Fehler stören würden. Manchmal kommt es zu komischen oder merkwürdigen Missverständnissen, aber meist kann man diese gemeinsam auch schnell wieder ausräumen.
Der Austausch mit anderen Lernenden, die sich ungefähr auf gleichem Niveau befinden, kann sinnvoll sein, muss es aber nicht. Während man sich bei unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gegenseitig auf Fehler aufmerksam machen kann, ist es bei Lernenden aus dem eigenen Kulturkreis wahrscheinlich, dass alle ähnliche Fehler machen und diese damit unentdeckt bleiben. Oft hilft es aber, sich mit Leuten auszutauschen, die schon etwas weiter sind auf der Reise des Sprachenlernens, um die selben Hürden möglicherweise schneller zu überwinden.
Bezüglich der Schriftzeichen, kann ich sagen, dass man ein alltagstaugliches Niveau in Mandarin erreichen kann, ohne mehr als 10 Schriftzeichen zu kennen. Sich danach die Schriftzeichen anzueignen wird aber ungleich schwerer. Außerdem kann man bestimmte Querverbindungen in der Bedeutung nicht ziehen, wenn man die zugehörigen Schriftzeichen nicht kennt. Am Anfang Chinesisch direkt mitsamt der Hanzi (汉字) zu lernen ist schwerer, da neben Aussprache und Bedeutung noch die Schreibweise als zusätzliches “Merkobjekt” wichtig ist. Wenn man allerdings einen gewissen Grundstock an Zeichen gelernt hat, fällt es einem immer leichter, neue Zeichen zu lernen und sogar die Bedeutung unbekannter Wörter herzuleiten.
Was man sich überlegen sollte
Gerade am letztgenannten Punkt mit den Schriftzeichen erkennt man, dass die Gesamtzielsetzung erheblich darüber entscheidet, wie man an die Sprache herangehen sollte. Möchte man wissenschaftliche Diskurse führen können, sollte man Schriftzeichen lernen. Geht es um Small Talk auf der Arbeit oder unter Studierenden, reicht möglicherweise das Erlernen der Lautschrift Pinyin. Lernt man für bestimmte Zertifikate, sollte man sich gezielt den dazugehörigen Wortschatz aneignen, möchte man hingegen im Alltag zurechtkommen, ist der Fokus sicher ein anderer. Sich die eigene Zielsetzung zu verdeutlichen ist daher ungemein wichtig, am besten bevor man mit dem Erlernen der Sprache beginnt. Und selbstredend kann sich die Zielsetzung im Laufe der Zeit auch immer wieder ändern.
Ein weiterer Punkt, der individuell unterschiedlich sein wird, ist wie viel Kurs man möchte, und wie viel man eigenständig lernt. Ab einem bestimmten Niveau helfen allgemeine Kurse vermutlich weniger als sich selbst Texte/Lieder/Podcasts zu suchen oder sich zu unterhalten. Aber wie sehr man “an die Hand genommen” werden möchte hängt von der Persönlichkeit genauso ab wie vom Lerntyp und anderen Faktoren.
Ich persönlich fand es zumindest zu Anfang sinnvoll, durch eine/n MuttersprachlerIn angeleitet zu werden. Das kann natürlich eine Lehrkraft sein, es kann aber genauso ein Kumpel oder eine Freundin sein, die einem offene Fragen beantwortet. Vielleicht kenne ich ja jemanden, den ich fragen könnte? Oder eventuell wäre die Person sogar bereit, ab und zu fünf oder zehn Minuten Konversation auf chinesisch in gemeinsame Treffen einzubauen?
Was ich für wichtig halte
Wichtig beim Erlernen der chinesischen Sprache, aber auch generell bei allen Sprachen sind meiner Erfahrung nach folgende Punkte:
- Man braucht eine klare Motivation, die Zielsetzung, aber auch Lerninhalte beeinflusst.
- Selbstvertrauen ist wichtig, um nicht vor der Sprache zu große Scheu zu haben, und um sich auch zu trauen, das Sprechen anzufangen
- Je nach Mensch können Vorbilder abschrecken oder motivieren – ich persönlich fand es beruhigend Leute zu kennen, die Chinesisch schon bis zu einem gewissen Grad gemeistert hatten.
- Aus praktischer Sicht sollte man sich überlegen, von welcher Sprache aus man Chinesisch lernen möchte. Deutsch-Chinesisch wäre zwar meine Muttersprache, aber es gibt deutlich weniger Resourcen online verfügbar. Daher habe ich mich relativ schnell für Englisch-Chinsisch entschieden. Kann man hingegen bereits eine dem Mandarin näherstehende Sprache, kann es sinnvoll sein, diese als Ausgangsbasis zu nehmen.
Wichtige Resourcen & Links
- Für textbuchbasiertes Lernen empfehlenswert: „Das neue praktische Chinesisch”/ “New practical Chinese reader”
- Wörterbücher: mdbg.net, Pleco (beide CN-EN); leo.org (DE-CN)
- Wikipedia: da es sich bei zh.wikipedia.org um eine taiwanesische Seite handelt, sind die Artikel in traditionellen Schriftzeichen geschrieben. Generell ist Wikipedia aber eine gute Seite gerade um Fachbegriffe zu bestimmten Themen zu lernen.
- Anki (www.ankisrs.net) ist eine Karteikarten-App, die neben einer Unmenge an geteilten Apps anderer User eigenes Schreiben ermöglicht. In Karteikarten kann Lückentext, Audio, Bilder und mehr eingebunden werden.
- WeChat: die Kommunikationsplattform ist als “Super-App” in China äußerst wichtig – zum Bezahlen, Taxis rufen, und in Verbindung bleiben. Bezüglich Sprachelernen kann schon das Mitlesen in chinesischen Gruppen oder auf den “Momenten” (so etwas wie der Facebook-Feed) hilfreich sein, insbesondere für Slang und Internetsprache
Kommentare einer Chinesin
Das Erlernen der chinesischen Sprache für Ausländer unterscheidet sich stark von dem Ansatz, der in chinesischen (Grund-)Schulen verfolgt wird. Alle SchülerInnen dort können bereits fehlerfrei sprechen. Daher geht es anfangs hauptsächlich darum, Pinyin als Lautschrift zu lehren und Zeichen schreiben zu lernen. Sehr bald geht es bereits um Feinheiten des Ausdrucks oder das Schreiben von Aufsätzen. Außerdem bekommen die SchülerInnen gelehrt, wie sie Wörterbücher benutzen können, um ihnen unbekannte Zeichen nachzuschlagen – zum Beispiel nach Aussprache oder nach Hauptradikal und Strichanzahl.
Ein weiterer Aspekt ist dann auch bereits ab sehr früh die Lehre von Altchinesisch (文言文) und Gedichten. Altchinesisch ist eine komplett andere Sprache und Verständnis muss daher auch von ChinesInnen gelernt werden. Viele Ausdrücke werden aber auch im Alltag benutzt, so sind zum Beispiel viel Chengyu (成语) aus alten chinesischen Texten entlehnt – kennt man die zugrundeliegende Geschichte nicht, ist es schwer, die Bedeutung des Chengyu zu erraten.