Bericht: das neue chinesische Zivilgesetzbuch
Das neue chinesische Zivilgesetzbuch. Quelle: http://german.cri.cn/aktuell/alle/3250/20200524/472492.html

Bericht: das neue chinesische Zivilgesetzbuch

Am 26.01. lud unser Verein zum ersten virtuellen Vortrag im Jahr 2021 ein. Wir freuen uns sehr, Herrn Dr. Jörg-Michael Scheil, Managing Partner Asien bei SCHULZ NOACK BÄRWINKEL Rechtsanwälte PartmbB gewinnen zu können. Das Thema – „Das neue chinesische Zivilgesetzbuch aus dem Juni 2020 – zwischen Privatautonomie und Staatslenkung“ – ist sehr aktuell und relevant. 

Zu Beginn führte der Finanzvorstand der DCI, Dr. Peter v. Zumbusch, die Vita des Redners aus. Herr v. Zumbusch kennt Herrn Scheil aus seiner Funktion als Chief Representative des Shanghai Office seiner Anwaltskanzlei, ein Posten, den Herr Scheil seit 1999 innehat. Zuvor studierte Herr Scheil Jura, Sinologie in Göttingen sowie chinesisches Recht in Shanghai. Heutzutage berät er zahlreiche Banken und Unternehmen, insbesondere zu chinesischem Recht. 

Vortrag: Allgemeines

Zivilrecht allgemein regelt die Balance zwischen den Rechten des Individuums  und denen der Gesellschaft. Für das aktuelle Zivilgesetz war eine Vorlage das deutsche BGB, aber auch Zivilgesetze verschiedener anderer europäischer und anderer Staaten. 

Herr Scheil begann seinen Vortrag mit einer geschichtlichen Einführung in das chinesische Zivilrecht. Das letzte Zivilrecht in China war das “min ban (民办), das 1929-31 ausgearbeitet und maßgeblich von Japan beeinflusst wurde. Weiter zurück in der Geschichte gab es 1740 das Gesetzbuch 大清律例 aus der Qing-Dynasty, oder auch den Tang-Kodex aus dem 7. Jhdt. Nach der Gründung der Volksrepublik wurde jedoch jegliches Zivilrecht außer Kraft gesetzt und es dauerte bis 1986, dass wieder “Allgemeine Grundsätze zum Zivilrecht” eingeführt wurden. Diese wurden 2009 überarbeitet und mit der Zeit auch durch einige zusätzliche Gesetzestexte ergänzt, zum Beispiel zum Erbrecht. 

Das neue Zivilgesetz wurde zuerst beraten im September 2018 und es dauerte nur anderthalb Jahre, bis es am 28.05.2020 durch den Nationalen Volkskongress verabschiedet wurde. Die 900.000 Anmerkungen, die in der öffentlichen Kommentierungsphase eingegangen sind, zeigen das rege Interesse, das chinesische Juristen diesem Gesetzesentwurf entgegenbringen. Neben Gesetzbüchern, die es auch oft in westlichen Gesetzestexten gibt, hat das chinesische Zivilgesetz auch einige andere Bücher, u.a. zu Persönlichkeitsrechten oder dem Deliktsrecht.

Herr Dr. Scheil bei seinem Onlinevortrag

Vortrag: Details

Eine Besonderheit des chinesischen Rechts ist, dass das oberste Gericht in allgemeiner Form Auslegungen und Interpretationen herausgeben kann, die dann bindend für alle Untergerichte sind. In Amerika und anderen Ländern geht so etwas nur anhand von wirklichen Fällen, die vor Gericht gebracht werden. Im Falle des neuen Zivilgesetzbuchs machte das oberste Gericht bereits regen Gebrauch von dieser Möglichkeit, zum Beispiel zum Sachenrecht, Erbrecht, Familienrecht, oder Bürgschaftsrecht. 

Im Anschluss führte Herr Scheil durch das Zivilgesetzbuch und griff insbesondere einige Besonderheiten heraus. Dies begann direkt mit Paragraph 1, der eine Art “Vorrede” beinhaltet, die den Sozialismus mit chinesischer Prägung hervorhebt. So etwas wird manchmal in eine Präambel geschrieben, allerdings ist es in §1 eher unüblich.

Es fällt auf, dass das neue Zivilgesetzbuch die Privatautonomie mehr betont als seine Vorgänger. Außerdem wird das Staatseigentum sehr geschützt. Dies geht sogar so weit, das haftbar ist, wer dem Staat einen Vermögensschaden zufügt. Eine Folge dessen ist, dass Bauland meist versteigert wird. Würde es zu billig verkauft, könnten Behördenmitarbeiter laut dem neuen Gesetzbuch dafür haftbar gemacht werden. Für privates Eigentum gibt es hingegen keine Haftungsregelung. Für private Mittel gibt es eine Auflistung, die aber nicht abschließend ist. Eine solche besondere Hervorhebung einiger Güter gibt es auch in den Gesetzen vieler anderer Staaten mit sozialistischer Tradition. 

Zur Landnutzung sagt das Zivilgesetzbuch, dass diese vernünftig geschehen muss. Es soll Spekulation vermieden werden und die Nutzer sollen das Land vernünftig entwickeln. Außerdem darf die Nutzung ohne spezielle Genehmigung nicht nachträglich geändert werden. Das Recht zur Nutzung wird weiterhin für immer kürzere Zeiträume vergeben. Statt wie ursprünglich 50 Jahre sind es jetzt meist 30, teilweise sogar nur noch 20 Jahre. Bei städtischen Wohnungseigentümern gibt es allerdings auch eine automatische Verlängerung, die dieser Gruppe berechtigte Ängste nehmen soll, dass sie im Alter ihr Wohneigentum verlieren. 

Desweiteren zeigt sich am neuen Zivilgesetzbuch auch, dass es im Gegensatz zum Beispiel zum BGB aus der Neuzeit stammt: es gibt einige Kapitel zum elektronischen Warenverkehr. In Deutschland gibt es hierfür das E-Commerce Gesetz, ein Sondergesetz, während das Thema in China direkt eingegliedert ist in das Hauptgesetz. Außerdem gibt es einige Passagen zu Forschung und Entwicklung sowie Patentrecht. 

Wichtig ist weiterhin, dass Persönlichkeitsrechte gestärkt werden. So stellt zum Beispiel §1039 klar, dass Datenschutz auch für staatliche Stellen gilt. Man darf persönliche Daten nicht ohne gesetzliche Grundlage an Dritte weitergeben. Allerdings steht das im Spannungsverhältnis zum Beispiel zu Überwachungsmaßnahmen des öffentlichen Raumes. Hierfür muss aber eine klare rechtliche Basis vorhanden sein oder geschaffen werden.

Fragen & Antworten

Im Anschluss an den spannenden Vortrag wurde angeregt diskutiert. Es war von Interesse, wie die Parteispitze zu dem Gesetz stehe. Hier antwortete Herr Dr. Scheil, dass das Gesetz durch den nationalen Volkskongress abgesegnet wurde, die Parteiführung also nicht dagegen sein kann. 

Desweiteren wurde über die Interpretation des Zivilgesetzbuchs diskutiert. Ob es ein erster Schritt in einem Öffnungsprozess sei oder eher als “äußerster Kompromiss”. Hier gilt, dass in der Historie oft die Initiative für neue Gesetze von JuristInnen ausging. Außerdem gibt es auch im Nationalen Volkskongress juristische Ausschüsse inklusive hochrangiger Experten und Professoren. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Entwicklung von oberster Stelle mitgetragen wird. Außerdem kann man auch die Ansicht vertreten, dass eine entwickelte Gesellschaft ein Zivilgesetz braucht, und man sich daher als Land ein solches geben wollte.  

Insgesamt sieht man, dass liberale JuristInnen in China bisher viel erreichen konnten. Es gibt aber durchaus auch Gegenströmungen, die sich teilweise auf den deutschen Rechtstheoretiker Carl Schmitt (1888-1985) berufen. Das zeigt sich zum Beispiel auch in der Verfassungsänderung von 2018, wo in Artikel 1 die führende Rolle der Partei hervorgehoben wird, die nicht dem Recht unterworfen ist. Durch die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung wichtiger Ämter wird es außerdem schwieriger, sich auf Meritokratie und Konfuzianismus zu berufen.